Seneca, epistulae 4,8 (latein. Text):
„Doch wozu auf die Einzelheiten eingehen? Wenn du das Forum von der Menschenmenge gefüllt und den Komitienplatz von der zuströmenden Menge besetzt siehst und den Zirkus dort, wo fast das ganze Volk beisammen ist, so glaube mir: So viel Menschen sind da, so viele Laster. Was du da von Bürgern siehst, das lebt alles in Unfrieden miteinander: Eines winzigen Vorteils wegen geht der eine auf das Verderben des anderen aus; jeder sucht seinen Gewinn durch die Schädigung des anderen. Den Glücklichen hassen, den Unglücklichen verachten sie. Gegen den Höheren bäumen sie sich auf, den Geringeren ducken sie. Von den verschiedensten Begierden werden sie angestachelt. Ein bißchen Vergnügen, ein Stückchen Beute zu erschnappen, scheint ihnen kein Opfer zu groß. Ihr Leben verläuft wie ein Fechterspiel: Sie trinken und kämpfen mit den Nämlichen. Es ist eine Ansammlung von wilden Tieren, nur dass diese untereinander Frieden halten und sich nicht gegenseitig beißen, während jene sich gegenseitig zerfleischen und sich aneinander sättigen. ..."
Seneca, epistulae VII 3-5 (latein. Text):
(3) Quid me existimas dicere? avarior redeo, ambitiosior, luxuriosior? immo vero crudelior et inhumanior, quia inter homines fui. Casu in meridianum spectaculum incidi, lusus exspectans et sales et aliquid laxamenti quo hominum oculi ab humano cruore acquiescant. Contra est: quidquid ante pugnatum est misericordia fuit; nunc omissis nugis mera homicidia sunt. Nihil habent quo tegantur; ad ictum totis corporibus ex positi numquam frustra manum mittunt.
(4) Hoc plerique ordinariis paribus et postulaticiis praeferunt. Quidni praeferant? non galea, non scuto repellitur ferrum. Quo munimenta? quo artes? omnia ista mortis morae sunt. Mane leonibus et ursis homines, meridie spectatoribus suis obiciuntur. Interfectores interfecturis iubent obici et victorem in aliam detinent caedem; exitus pugnantium mors est. Ferro et igne res geritur.
(5) Haec fiunt dum vacat harena. 'Sed latrocinium fecit aliquis, occidit hominem.' Quid ergo? quia occidit, ille meruit ut hoc pateretur: tu quid meruisti miser ut hoc spectes? 'Occide, verbera, ure! Quare tam timide incurrit in ferrum? quare parum audacter occidit? quare parum libenter moritur? Plagis agatur in vulnera, mutuos ictus nudis et obviis pectoribus excipiant.' Intermissum est spectaculum: 'interim iugulentur homines, ne nihil agatur'.
„ ... Zufällig geriet ich in ein mittägliches Schauspiel, in der Erwartung auf etwas Spaß, Witz und Entspannung - ein Schauspiel, bei dem sich das menschliche Auge vom Gemetzel an Mitmenschen ausruhen kann. Das Gegenteil war der Fall. Die früheren Kämpfe waren ein Ausfluß an Mitgefühl; aber jetzt ist alles Vergnügen vorbei, und es gibt schieren Mord. Die Männer haben keine Waffen zur Verteidigung. Sie sind rundum den Hieben ausgesetzt, und niemand schlägt vergebens zu.
(4) So etwas sehen die meisten lieber als die ordentlichen Paarungen kunstmäßiger Fechter. Und wie sollten sie nicht? ... Wozu den Schutzwaffen? Wozu Fechtkünste? Alles dergleichen hält den Tod doch nur auf. Am Morgen wirft man Menschen den Löwen undärn vor, am Mittag den Zuschauern. Wer eben gemordet hat, wird einem anderen zur Ermordung vorgeworfen: den Sieger spart man für einen dritten Mord auf. Das Ergebnis für jeden Kampf ist Tod, und die Mittel sind Feuer und Schwert.
(5) Und so geht's weiter, bis die Arena leer ist. „Aber Straßenraub hat einer verübt, ermordet hat er einen Menschen." Was also? Weil er gemordet hat, hat er es verdient, derartiges zu sehen? Töte, peitsche, brenne! Warum stellt der sich so zaghaft dem Schwert? Warum tötet der nicht mit mehr Schwung? Warum stirbt der so ungern? Und wenn die Spiele für eine Unterbrechung aussetzen, gibt es die Ankündigung: »In der Zwischenzeit ein wenig Kehledurchschneiden, damit überhaupt etwas passiert.«”
Seneca, epistulae 37,1-2 (latein. Text):
„Die Worte dieses edelsten Eides gleichen denen jenes unedelsten: sich brennen, fesseln und mit dem Eisen töten zu lassen. Eine bindende Verpflichtung lastet auf jenen, die ihre Hand anwerben lassen für die Arena und Speise und Trank verzehren, die sie mit Blut zurückzuzahlen haben, dass sie alles ertragen sollen, ob sie es wollen oder nicht."
Seneca, epistulae VIII 70,20:
Nuper in ludo bestiariorum unus e Germanis, cum ad matutina spectacula pararetur, secessit ad exonerandum corpus - nullum aliud illi dabatur sine custode secretum; ibi lignum id quod ad emundanda obscena adhaerente spongia positum est totum in gulam farsit et interclusis faucibus spiritum elisit.
„Neulich bei einem Tierkampf trat einer von den Germanen, als man die Vormittagsspiele vorbereitete, aus, um sich zu erleichtern. Keinen anderen abgeschiedenen Ort gewährte man ihm ohne Wächter. Dort stieß er sich das Holz, das zum Reinigen des Afters mit einem Schwamm versehen ist, tief in die Kehle und tötete sich, indem er die Atemwege versperrte. ... ”(Übers. nach O. Apelt)
Seneca, epistulae X 15.
Seneca, epistulae XIII 88,21-22.
Seneca, quaestiones naturales II 9,2.
Literatur: Ä. Bäumer, Die Bestie Mensch. Senecas Aggressionstheorie, ihre philosophischen Vorstufen und ihre literarischen Auswirkungen, Studien zur klassischen Philologie, 4 (Franfurt a.M. 1982); F.-F. Lühr, Zur Selbstdarstellung und Bewertung von Massenreaktionen in der lateinischen Literatur, Hermes 107, 1979, 109 ff.; M. Armisen-Marchetti, Sapientiae facies. Étude sur les images de Sénèque (Paris 1989) 124 ff.; M. Wistrand, Violence and Entertainment in Seneca the Younger, Eranos 88, 1990, 35 ff.; G. Solimano, La prepotenza dell'occhio. Riflessioni sull'opera di Seneca (Genua 1991) 69 ff.; M. Wistrand, Entertainment and Violence in Ancient Rome. The Attitudes of Roman Writers in the first Century A.D. (Västervik 1992) 17 ff; C.A. Barton, The Sorrows of the Ancient Romans. The Gladiator and the Monster (Princeton 1993) 15 ff.; P. Plass, The Game of Death in ancient Rome. Arena Sport and political Suicide (Madison 1995) 68 ff.; E. Gunderson, The Ideology of the Arena, Classical Antiquity 5/1, 1996, 135 ff.; E. Flaig, Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im alten Rom, Historische Semantik, 1 (Göttingen 2003) 245 ff.; M. Papini, Munera gladiatoria e venationes nel mondo delle immagini, Memorie, Accademia nazionale dei Lincei, Classe di scienze morali, storiche e filologiche, Accademia nazionale dei Lincei. Classe di scienze morali, storiche e filologiche, Atti della Accademia nazionale dei Lincei 19 (Rom 2004) 14 f.