Sonnensegel bzw. vela dienten ab der Zeit der späten römischen Republik dem Schutz der Zuschauer bei Veranstaltungen in Theater, Amphitheater und Platzanlagen vor allzu unangenehmer Bestrahlung durch die Sonne. Die Erfindung wird Quintus Catulus zugeschrieben. Aus zahlreichen pompejanischen Inschriften mit der Bekanntmachung von Gladiatorenspielen ist ersichtlich, wie wichtig die Ausstattung der Spiele zusätzlich mit dem vor der Sonne schützenden Komfort war: Der Zusatz «vela erunt» („Es wird Sonnensegel geben") durfte am Ende der Anzeige kaum fehlen. In zahlreichen Amphitheatern sind die Masthalterungen an der Außenseite der Attika noch erhalten. In Theatern sind einfachere Mastlöcher in der summa cavea und und dem daruntergelegenen Zuschauerraum sichtbar. Am Kolosseum in Rom scheint eine Einheit der römischen Kriegsflotte für die Bespannung der Anlage zuständig gewesen und in den castra Misenatium stationiert gewesen zu sein.
Archäologische Befunde
Hier nur exemplarisch wenige besonders interessante Beispiele:
Amphitheater: Nîmes.
Theater: Abella. - Limyra.- Patara. - Philadelphia. - Bosra (Inschriften, Konsolen).
Literatur
Daremberg - Saglio, Le Dictionnaire des Antiquités Grecques et Romaines, V (Paris 1918) 677-680 s.v. velum et velarium (O. Navarre).
R. Graefe, Vela erunt (Mainz 1979).
Z. Weiss, Public spectacles in Roman and late antique Palestine (Cambridge - London 2014) 89-90.
Epigraphische Belege
Pompeji, CIL IV 1185.
Pompeji, CIL IV 7995.
Pompeji, CIL IV 9969. 9970. 9983.
Schriftquellen
Cassius Dio XLIII 24,2.
Plinius, nat. hist. XIX 6, 23-24:
(23) Postea in theatris tantum umbram fecere, quod primus omnium invenit Q. Catulus, cum Capitolium dedicaret. carbasina deinde vela primus in theatro duxisse traditur Lentulus Spinther Apollinaribus ludis. mox Caesar dictator totum forum Romanum intexit viamque sacram ab domo sua et clivum usque in Capitolium, quod munere ipso gladiatorio mirabilius visum tradunt.
(24) deinde et sine ludis Marcellus Octavia Augusti sorore genitus in aedilitate sua, avunculi XI consulatu, a kal. Aug. velis forum inumbravit, ut salubrius litigantes consisterent, quantum mutati a moribus Catonis censorii, qui sternendum quoque forum muricibus censuerat! vela nuper et colore caeli, stellata, per rudentes iere etiam in amphitheatris principis Neronis.
„Später hat man nur in den Theatern (mit Segeln) Schatten gemacht, was zuerst Quintus Catulus erfand, als er das Capitol einweihte (69 v.Chr.). Sodann soll Lentulus Spinther Tücher aus carbassus bei den Spielen zu Ehren des Apollo über das Theater gezogen haben. Bald darauf überdeckte der Diktator Cäsar das ganze römische Forum, die heilige Straße von seinem Hause an und den Hügel bis zum Capitol, was noch bewunderungswürdiger ausgesehen haben soll als das Gladiatorenspiel selbst.
Danach hat auch, ohne Spiele abzuhalten, Marcellus, der Sohn Octavias, der Schwester des Augustus, während seines Amtes als Ädil unter dem 11. Konsulat seines Onkels am Tag vor den Kalenden des Augustus (31. Juli) das Forum mit Vorhängen überschattet, damit die streitenden Parteien etwas geschützter seien. Wie sehr haben sich die Zeiten seit Cato, dem Zensor geändert, der auch das Forum mit kleinen spitzen Steinen bedeckt haben wollte. Vor kurzem waren himmelblaue, mit Sternen versehene Tücher auch im Amphitheater des Kaisers Nero an starken Tauen ausgespannt."
Valerius Maximus II 4,6:
Religionem ludorum crescentibus opibus secuta lautitia est. eius instinctu Q. Catulus Campanam imitatus luxuriam primus spectantium consessum velorum umbraculis texit. Cn. Pompeius ante omnes aquae per semitas decursu aestivum minuit feruorem. Claudius Pulcher scaenam varietate colorum adumbravit vacuis ante pictura tabulis extentam. quam totam argento C. Antonius, auro Petreius, ebore Q. Catulus praetexuit. versatilem fecerunt Luculli, argentatis choragiis P. Lentulus Spinther adornavit. translatum antea poenicis indutum tunicis M. Scaurus exquisito genere vestis cultum induxit.
„Mit dem Anwachsen der Reichtümer wurde für den religiösen Gehalt der Spiele vermehrt Reichtum zur Schau getragen. Dadurch veranlaßt, ließ Q. Catulus campanischer Üppigkeit folgend über den Sitzen der Zuschauer Schattendecken anbringen. Cn. Pompeius hat vor allen anderen Wasserleitungen in den Gängen des Theaters besorgt, um die Wirkungen der Sonnenhitze zu mildern. Claudius Pulcher verschönerte die Bühne durch mannigfaltige Malereien, die vorher nur mit einfachen Brettern ohne allen Anstrich eingefaßt waren. C. Antonius überzog sie ganz mit Silber, Petreius mit Gold, Q. Catulus mit Elfenbein. Die Luculli machten eine Einrichtung zu künstlichen Verwandlungen (versatiles), Publius Lentulus Spinther bereicherte das Theater mit silbernen Gerätschaften. Für die Aufzüge der Schauspieler, wozu früher gewöhnliche rote Röcke gebraucht worden waren, führte Marcus Scaurus eine ausgesucht schöne Tracht ein."
Literatur: deutsche Übersetzung bei D.F. Hoffmann, Valerius Maximus. Sammlung merkwürdiger Reden und Thaten (Stuttgart 1828).
In dichterischen Worten beschreibt Lucretius die in Wind und Wetter flatternden Sonnensegel:
Lucretius, de rerum natura VI 92-115:
tu mihi supremae praescripta ad candida callis | „Du zeige mir, der ich jetzt zum letzten der kreidigen Male |
Lit.: L. Ross Taylor, Lucretius on the Roman Theater, in: M.E. White (Hrsg.), Studies in Honor of Gilbert Norwood, Phoenix Suppl. 1 (Toronto 1952) 149 ff.
Ovid, Metamorphosen V 388-389.
Martial, Epigramme XI 21,6.
Über den Tuchdieb Hermogenes, vor dem selbst Sonnensegel nicht sicher sind:
Martial, Epigramme XII 28:
Hermogenes tantus mapparum, Castrice, fur est, 1
...
Tu licet observes dextram teneasque sinistram, 3
Inveniet, mappam qua ratione trahat:
...
nuper cum Myrine peteret missio laeso, 7
subduxit mappas quattuor Hermogenes.
...
Quamvis non modico caleant spectacula sole, 15
Vela reducuntur, cum venit Hermogenes.
...
„Hermogenes ist ein so großer Dieb von Tüchern, Castricius,
...
du magst seine Rechte beobachten und seine Linke festhalten,
er wird doch eine Möglichkeit finden, wie er ein Tuch mitgehen läßt:
...
Als man neulich für den verletzten Myrinus Gnade erbat,
entwendete er vier Tücher - Hermogenes:
...
Wie sehr auch die Zuschauerplätze von der unmäßigen Sonne glühen,
man zieht die Tuchbahnen ein, sobald vorbeikommt - Hermogenes.
... " (Übers. P. Barié - W. Schindler).
Martial, Epigramme XIV 29 (Pompeius-Theater).
Ovid, ars amatoria I 103.
Juvenal IV 121-122.
Sueton, Caligula XXVI 5.
Cassius Dio LXIII 6, 1-3:
„(1) Auf Grund eines besonderen Beschlusses fand auch eine Feier im Theater statt. Dabei waren nicht allein die Bühne, sondern auch der gesamte innere Rund vergoldet und ebenso alle Gegenstände, die man hineinbrachte, mit Gold verziert worden, so dass das Volk dem Tage selbst die Bezeichnung «Goldener» gab. (2) Die über die Häupter hin gegen die Sonnenstrahlen gespannten Vorhänge waren purpurn und in ihrer Mitte eine Abbildung Neros aufgestrickt, wie er einen Wagen lenkt. Dabei umstrahlten ihn rings goldene Sterne. (3) ... Nero aber sang danach öffentlich zur Leier und fuhr auch einen Wagen, gekleidet wie die Grünen und mit dem Helm eines Wagenlenkers auf dem Haupt."
SHA, Commodus XV 5-7.
In einer allgemeinen Klage über die Verhältnisse in Rom unter dem Stadtpräfekten Memmius Vitrasius Orfitus Honorius zur Regierungszeit von Kaiser Constantius II. heißt es bei
Ammianus Marcellinus XIV 6,25:
Ex turba vero imae sortis et paupertinae in tabernis aliqui pernoctant vinariis, non nulli velariis umbraculorum theatralium latent, quae Campanam imitatus lasciviam Catulus in aedilitate sua suspendit omnium primus.
„Von den niedrig Geborenen und Ärmsten übernachten manche in den Weinschänken, viele unter den Sonnensegeln der Theater, welche Catulus in Nachahmung kampanischen Luxus' während seiner Ädilität als erster aufspannen ließ."